Das Gesicht des Judas

Leonardo da Vinci gilt als einer der herausragendsten Intellektuellen der Geschichte. Und er ist auch einer der größten Künstler, die je gelebt haben.

Von da Vinci stammt eines der weltweit berühmtesten Wandgemälde. Es befindet sich im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand und es ist unter dem Namen „Das letzte Abendmahl“ bekannt.

Um die Schaffung dieses Kunstwerkes gibt es eine Geschichte, die uns etwas über Vergebung lehren kann.

Es wird erzählt, dass da Vinci kurz vor dem Beginn der Arbeiten am Letzten Abendmahl in Streit mit einem Künstler-Kollegen geriet. Worum es ging, weiß niemand mehr, vermutlich ist es eine Lappalie wie so oft, wenn wir mit unseren Mitmenschen aneinandergeraten.

Jedenfalls muss der Streit ziemlich schlimm gewesen sein. Da Vinci war so aufgebracht und verbittert, dass er beschloss, das Gesicht seines Kontrahenten in das Bild hineinzumalen … 

…, und zwar als das Gesicht des Judas.

Das ist eine böse Rache. Da Vinci liess seinem Zorn freien Lauf, indem er den Mann in Schimpf und Schande für „die Ewigkeit“ festhielt. Seine Verachtung für den Kontrahenten sollte auf dem Bild für viele, viele Generationen festgehalten und über die Jahrhunderte weitergegeben werden.

Und er ging mit Feuereifer ans Werk: Das Gesicht des Judas war eines der ersten Gesichter, die er fertigstellte. Jeder, der in diesem Stadium des Schaffens Zugang zu dem Werk hatte, konnte es erkennen: Judas ist der Mann, mit dem da Vinci in Streit liegt.

Und dieser Mann bekam das spätestens dann mit, als er spürte, dass die Leute auf der Straße über ihn lästern.

Doch die Geschichte geht weiter …

Über das Gesicht von Jesus hat da Vinci sehr lange Zeit nachgedacht. Er erstellte eine Studie nach der nächsten, nahm zahlreiche Anläufe und zeichnete Skizze nach Skizze, aber es ging nicht voran. Etwas Unbekanntes schien ihn zurückzuhalten und seine Bemühungen zu torpedieren. Was er auch anstellte, wie er es auch versuchte: 

Da Vinci konnte das Gesicht Jesu schlichtweg nicht malen.

Woran liegt es?

Es kostete ihn viel Zeit und Gebet, bis er erkannte, was ihn bremst und frustriert. Als die Erkenntnis wuchs, als er die Eingebung hatte, da handelte er sofort: Er übermalte das Gesicht von Judas und machte es unkenntlich, machte es sozusagen namenlos.

Danach begann da Vinci erneut, das Gesicht von Jesus zu malen und wir wissen noch heute, Jahrhunderte später, es ist ihm gelungen. Da Vinci schuf ein Meisterwerk.

Was können wir mitnehmen?

Ich bin mir nicht sicher, ob die Geschichte sich in dieser Weise tatsächlich so zugetragen hat. Es gibt auch andere Versionen. Aber das ist nicht wichtig. Es ist nur eine Geschichte. Wichtig ist, was die Bibel zu Situationen wie dieser sagt.

Und da finde ich zum Beispiel Folgendes:

Wenn du also deine Gabe zum Altar bringst und dir dort einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass deine Gabe dort vor dem Altar; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder! Danach komm und bring Gott deine Gabe dar. (Matthäus 5, 23-24; Neue Genfer Übersetzung)

Da Vinci hatte eine ungewöhnlich große Gabe, er war ein begnadeter Maler. Aber das nützt nichts:

Man kann nicht die Züge Jesu Christi in sein Leben malen und gleichzeitig ein anderes Gesicht mit den Farben der Feindschaft und des Hasses.

Das geht genauso wenig, wie du zwei Herren gleichzeitig dienen kannst.

Diese Geschichte als pdf herunterladen



Basiert auf einer Illustration von C.E. Maccartney aus „7700 Illustrationen“

Zurück zu „Geschichten zur Vergebung“      Zurück zu „Alle Geschichten“

Clicky